INFO: Am 06.08.2023 hat das achte Rock the Race in Würzburg stattgefunden. Insgesamt haben etwa 1200 Läufer*innen teilgenommen. Rock the Race ist ein Cross-Hindernislauf, der jährlich in Würzburg stattfindet. Die Teilnehmer*innen können zwischen einer Strecke von 3 km, 7 km und 14 km wählen. So kann jeder mit seinem eigenen Fitnesslevel teilhaben. Das nächste Rock the Race wird am 04.08.2024 stattfinden
Beim Cross-Hindernislauf Rock the Race in Würzburg kämpft man gegen sich selbst - Gegen den eigenen Verstand und den Drang aufzugeben. Doch vor allem kämpft niemand für sich alleine.
„Fünf!“. In meinem Inneren mischt sich ein Gefühl der Freude und Nervosität. Ich spüre meinen Herzschlag im Hals. „Vier!“. Der muskelbepackte Mann neben mir nimmt einen tiefen Atemzug. Ganz so als würde er sich darauf vorbereiten, in tiefes Gewässer zu tauchen. „Drei!“. Das erste Hindernis ist eine hölzerne Wand. Sie baut sich vor mir auf wie eine Festung, die erobert werden möchte. „Zwei!“. Und ich? Ich bin die Kriegerin, die sie erklimmen muss. Ich fahre mir mit den Händen über den Kopf und ziehe meinen Pferdeschwanz fest. „Eins!“. Jetzt gibt es kein zurück mehr, nur noch einen 20 Weg. Sieben Kilometer über 20 Hindernisse. „Und los! Viel Spaß bei Rock the Race 2023!“, ertönt es aus dem Lautsprecher.
Mit Adrenalin in meinen Adern sind die ersten Hindernisse ein Leichtes. Ich klettere mühelos über die beiden hölzernen Wände und den Truck, doch vor dem nächsten Hindernis halte ich inne. Es ist eine Grube voller Matsch. Ein Spinnennetz aus Absperrband ist kreuz und queer über das Matschloch gespannt. So habe ich keine andere Möglichkeit, als auf allen Vieren durch das nasse Braun zu kriechen. Der Sand ist rau unter meinen Knien und Händen. Was mache ich hier eigentlich? schießt es mir durch den Kopf. Mit circa 300 anderen Teilnehmern kämpfe ich mich über sieben Kilometer durch Matsch, Wasser und andere 40 Hindernisse. Aus Spaß? Ich muss über die Absurdität der Situation lachen. Am Ende des Matschbeckens strecke ich mein Gesicht am Absperrband vorbei und blicke in das runde Auge einer Kamera. Ich presse ein halbes Lächeln zwischen meinen Lippen hervor, während braune Soße über meine Wange läuft.
Ich krabble aus dem Becken und jogge weiter. Meine Schuhe schmatzen bei jedem Schritt. Die anfängliche Nervosität ist nun verblasst und lässt mich mit der Realität zurück. Ich spüre ein schmerzendes Stechen in meiner Seite. Ich schaffe das, spreche ich mir in Gedanken zu und atme tief ein und aus. Neben mir läuft eine Frau mit einem neongrünen T-Shirt. Darauf ist ein männliches Wildschwein abgebildet, das Logo des Würzburger Bierherstellers Keiler. Keiler ist ein Partner von Rock the Race und hat mehrere Tickets für das Rennen verlost. Eine der Gewinnerinnen lächelt mir nun aufmunternd zu, bevor sie an mir vorbeizieht.
Vor dem Schwimmbecken treffe ich sie wieder. Der Main spült den Schmutz von mir. Das kalte Wasser fühlt sich an wie Balsam auf meiner heißen Haut, doch meine Schuhe sind schwer wie Stein. Wie lange geht das Rennen schon? Liege ich gut in der Zeit oder – „Ich brauch eine Schwimmnudel!“, schreit ein Mann hinter mir. Seine Stimme ist gewürzt mit einem Hauch von Panik. Schnell schnappt er sich eine orangene Schwimmnudel aus dem bunten Strauß, den eine Helferin im Wasser bereithält. Währenddessen habe ich die kurze Schwimmstrecke schon durchquert und erklimme über eine Strickleiter den Beckenrand.
Der Name des nächsten Gegners: Sandsack. Von Weitem sehe ich schon die Reihe an Läufern, die längliche Sandsäcke auf ihren Schultern tragen. Rechts diejenigen, die das Hindernis antreten und links die Läufer, die mit den Sandsäcken bereits auf dem Rückweg sind. Auf der Hälfte der Strecke ist nämlich die Wende eingebaut. So schwer können die doch gar nicht sein, denke ich und gehe selbstsicheren Schrittes auf die Kisten mit den Sandsäcken zu. Ich versuche einen der Säcke hochzuheben – vergeblich. Für wenige Sekunden schwebt der Sack einige Zentimeter über den Boden, dann rutscht er mir wieder aus den Händen. Mist. Was mache ich jetzt? Hilfesuchend schaue ich mich um. Mein Blick wird erwidert. Ein junger Läufer, der auf der anderen Seite der Kisten steht, zögert keine Sekunde. Leichtfertig hebt er einen Sandsack aus der Kiste und legt ihn über meine Schultern. „Danke“, sage ich etwas verdutzt. „Kein Problem“, antwortet er mit einem schiefen Lächeln. Will er nicht selbst gewinnen? Oder zumindest seine Bestzeit erreichen?
Der Sack hängt um meinen Nacken wie ein Schal aus Beton. Er ist etwa 20 kg schwer und zwingt mich, auf den Boden zu schauen. Ich stolpere eher voran, als dass ich laufe, und mit jedem Schritt werden meine Beine wackeliger. Ein Junge rennt an mir vorbei. Ich schätze ihn auf elf Jahre. Sein marineblaues T-Shirt klebt an seinem Körper. Von einer schwarzen Strähne, die ihm ins Gesicht fällt tropft Schweiß. Seine Füße fliegen über den Untergrund, obwohl auch er eine 20 kg schwere Last auf seinen Schultern trägt. Meine Augen weiten sich vor Erstaunen. Es fühlt sich an, wie eine kleine Ewigkeit bis ich wieder bei den Kisten ankomme. Dort nimmt mir eine Läufe rin den Sandsack von den Schultern. Ich fühle mich plötzlich schwerelos. „Sehr stark gemacht!“, ruft sie mir im Weggehen zu. Meine Mundwinkel heben sich. Ich renne weiter.
Nach einigen weiteren Minuten scheint es mir, als würde ich Feuer statt Luft atmen. Meine Lunge brennt. Meine Beine werden mit jedem Schritt zittriger. Soll ich eine Pause machen? Oder einfach aufgeben? Ich werde es niemals bis zum Ziel schaffen. Meine Gedanken sind kurz davor meinen Mut zu begraben, doch dann dringen Jubelrufe zu mir durch. Neben der Laufstrecke sitzt eine Familie gemütlich auf einer Picknickdecke. Die Mutter hat eine große schwarze Sonnenbrille auf, die sie aussehen lässt wie eine Fliege. „Weiter so!“, ruft sie mir zu und klatscht in die Hände. Die Tochter tut es ihr gleich und patscht ihre kleinen Handflächen gegeneinander. Aufgeben ist keine Option. Dieser Gedanke begleitet mich durch die nächsten Hindernisse: Ein Container voller Schaum, eine große Wasserrutsche und noch mehr Matsch.
Vom Ziel trennen mich jetzt nur noch zwei große Holzwände. An diesen sind keine Griffe oder andere Hilfsmittel angebracht – es gibt nur eine glatte Fläche. In meinen Armen steckt keine Kraft mehr, genauso wie im Rest meines Körpers. Alleine würde ich es nicht schaffen, mich an der Wand hochzuziehen. Ich stehe ratlos vor dem hölzernen Feind und habe die Hände auf die Hüfte gestützt. Wie soll ich über dieses Hindernis kommen? „Soll ich dir helfen?“, fragt der junge Mann neben mir, als hätte er meine Gedanken gelesen. In meinen Augen steht die Angst geschrieben, die in mir tobt. Was ist, wenn ich runterfalle? „Wir schaffen das schon“, beschwichtigt mich der junge Läufer und bietet mir seine gefalteten Hände als Treppenstufe an. Zögernd steige ich mit einem Fuß auf seine Handflächen. Er drückt mich mit aller Kraft nach oben und befördert mich so auf die Holzwand. Mit zittrigen Händen klammere ich mich an ihr fest und schwinge meine Beine über die Wand. Ich springe und sehe mich mit der nächsten Holzwand konfrontiert. Doch da steht der Läufer schon wieder neben mir und fragt ganz selbstverständlich: „Nochmal?“
Jubel umarmt meine Ohren auf der Zielstrecke. Ich renne durch den roten Bogen, der die Ziellinie markiert. Dort wartet bereits eine Frau mit strahlendem Lächeln auf mich. „Sehr gut! Herzlichen Glückwunsch!“, ruft sie mir entgegen. Alle Anspannung fällt von mir ab. Die Frau hängt mir eine schwarze Medaille um den Hals. Auf der Vorderseite ist das Logo von Rock the Race abgebildet. Darunter steht in Großbuchstaben das Wort Finisher, was so viel bedeutet wie Zieleinläufer*in.
Ich stehe noch einige Zeit neben der Ziellinie und schaue den anderen Läufer*innen zu. Manche haben genau wie ich sieben Kilometer hinter sich, andere sogar 14. Unter ihnen sind viele in Teams gestartet. Diese rennen nun Hand in Hand alle gemeinsam über die Ziellinie. Sogar Superhelden in Spidermankostümen oder Prinzessinnen mit bunten Tutus sind dabei. Egal, wer über die Ziellinie rennt, eines haben sie alle gemeinsam: Sie tragen ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Ich fühle, wie sich trotz des Regens und der Kälte eine angenehme Wärme in mir ausbreitet. Tränen steigen in meine Augen. Ich glaube, ich verstehe jetzt, worum es bei Rock the Race geht. Hier kämpft niemand alleine, sondern alle gemeinsam, Hand in Hand.
-Tamara Allin
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